Financial Shenanigans
Warum und wie Sie als langfristiger Investor die Finger von Unternehmen lassen, die ihre Zahlen frisieren.
Kontext
Investieren ist eine Multiplikationskette. Jedes Investment erwirtschaftet eine Rendite, welche mit dem Vorjahreswert multipliziert wird. Wir tun dies mit dem Halten von sehr wenigen, hervorragenden Unternehmen. Die Aktie ist somit kein Spekulationsobjekt, sondern eine langfristige Beteiligung am Unternehmen. Da wir niemals alle Informationen besitzen können, sind wir auf die gezielte Diversifizierung über Unternehmen, Sektoren und Regionen angewiesen. Es können auch unvorhersehbare Dinge passieren. So vermeiden wir Totalausfälle – oder anders ausgedrückt, das Multiplizieren mit null.
In unserem Prozess evaluieren wir die Stabilität und Profitabilität des Unternehmens anhand der ausgewiesenen Zahlen. Sind diese manipuliert, entfällt die Entscheidungsgrundlage und sämtliche weiteren Recherchen erübrigen sich.
Die diesen Monat analysierte Monster Beverage erfüllte initial alle unsere Investment-Kriterien. Die anschliessend aufgedeckte Praxis zur Schönung der Umsatzzahlen bewog uns dazu, den Konzern nicht einmal mit der Kneifzange anzufassen.
Ausgewählte Tricks
Wir sehen uns verpflichtet, Ihnen ein grobes Verständnis solcher Manipulationen zu vermitteln. Als Fazit geben wir Ihnen drei effektive Schnelltests auf den Weg.
Earnings Adjustments
Der Klassiker ist das Verwenden adjustierter Zahlen. Meist handelt es sich dabei um den Gewinn, diverse Margen und EBITDA (eine Zahl, die Sie am besten ignorieren). Unliebsame Kosten werden herausgerechnet, ausserordentliche Gewinne nicht. Dass dies das Geschäft akkurater reflektiert, stimmt natürlich nicht. Ein deutliches Warnzeichen sind chronisch bessere adjustierte Zahlen in den Präsentationen und Pressemitteilungen. Die GAAP- oder IFRS-Zahlen finden Sie hingegen in den Filings an die Aufsichtsbehörde. Gewissenhaft erstellte Jahresberichte enthalten jeweils beide Werte.
Restatements und wechselnde Policies
Bei geänderten Accounting-Richtlinien hilft es, deren Effekt zu hinterfragen und gegenzurechnen. Seltene, einmalige Änderungen sind oftmals kein Problem. Kommt es allerdings regelmässig vor, fischen Sie in trüben Gewässern – egal wie gut Sie rechnen können. Dasselbe gilt für nachträgliche Änderungen (sogenannte Restatements): Es wird ein fulminantes Wachstum präsentiert, obwohl das Geschäft stagniert.
Ein Beispiel der letzten Jahre ist die V.F. Corporation. Der Bekleidungsriese (Vans, North Face, Timberland etc.) kaschierte seinen Umsatz- und Gewinneinbruch mit Restatements. Anschliessend wurde mit einem veränderten Buchhaltungszyklus die Vergleichbarkeit der einzelnen Geschäftsjahre erschwert.
Turnarounds
Restrukturierungskosten und -Budgets werden als nicht-wiederkehrend angesehen. Das ist eine Einladung, sämtliche unerwünschte Kosten aus dem operativen Ergebnis auszugliedern. Achten Sie zwingend auf deren Höhe und Regelmässigkeit.
Erwartungsmanagement
Übernehmen Sie die Unternehmensführung, können Sie die oben genannten Restrukturierungskosten bewusst zu hoch veranlagen und kapitalisieren. Die Investoren dürften ohnehin schon sauer sein, Sie werden die Schuld jedoch Ihrem Vorgänger in die Schuhe schieben können. Diese stillen Reserven können Sie später gezielt auflösen und so die Erwartungen übertreffen.
Unabhängig davon kann über viele kleine, kaum detektierbare Adjustierungen Einfluss genommen werden. Jack Welch ist ein Paradebeispiel für das Steuern von Erwartungen. So soll er seinen Chief Financial Officer (CFO) beauftragt haben, die vierteljährliche Konsens-Gewinnerwartung je Aktie um exakt einen Cent zu schlagen. General Electric implodierte nach seinem Rücktritt, doch Welch gilt nach wie vor als Management-Ikone.
Intangibles
Stellen Sie die immateriellen Vermögenswerte ins Verhältnis zum Eigenkapital. Das gibt Ihnen ein Gefühl, ob adäquat abgeschrieben und bilanziert wird. Es kann sich dabei um kapitalisierte Kosten, Investments, Marken, Patente oder Akquisitionen handeln. Überprüfen Sie ausserdem, ob kuriose Positionen aufgeführt sind, welche die Bilanz zusätzlich aufblähen.
Beispiele: Netflix schreibt die Kosten seiner Eigenproduktionen kaum ab, die Trump Organization bilanzierte den eigenen Markennamen mit 3 Mrd. Dollar und Wirecard einen fiktiven Wert seiner Zahlungspartner und schrieb die Position über 30 Jahre ab.
Cashflows
Cashflows sind deutlich schwieriger zu manipulieren, denn hierzu müssen oft «illegalere» Geschütze aufgefahren werden. Vergleichen Sie die operativen Cashflows mit dem Gewinn. Ist letzterer chronisch höher, ist in fast allen Fällen etwas faul. Auf diese Weise umschiffen Sie viele der oben genannten Kartenspielertricks. Free Cashflow Margen und -Yields sind meist aussagekräftiger als die Nettomarge oder das beliebte Kurs-Gewinn-Verhältnis.
Leasebacks
Nehmen wir an, Sie betreiben einen Fussball Club, sehen sich mit finanziellen Engpässen konfrontiert und verkaufen Ihr Stadion. Über einen Miet- oder Leasingvertrag sichern Sie sich für 20 Jahre den exklusiven Zugang zu diesem. Die Transaktion spielt Liquidität ein, unregelmässige Instandhaltungskosten trägt der neue Eigentümer und Ihre laufenden Kosten sind minimal höher als zuvor. Wichtig ist auch hier, dass Sie sich der Natur und Dynamik der Transaktion bewusst sind: Kurzfristig entlastet es Sie, aber langfristig wird es teurer sein. There is no Free Lunch.
Starke Aktionäre
Starke Aktionäre mit langem Zeithorizont setzen wir in unserem Investment Prozess voraus. Es ist allerdings ein zweischneidiges Schwert. Unternehmensführung, Gross- und Kleinaktionäre müssen im selben Boot sitzen. Sämtliche Machtpositionen haben mit Personen von makelloser Integrität besetzt zu sein. Werden geltende Regeln in einer Dimension missachtet, werden Sie als Aktionär auch an anderer Stelle übervorteilt. Konzerne sind dermassen komplex, dass Sie dies niemals abschliessend prüfen können.
In den Vereinigten Staaten sind Optionsvergütungen sehr verbreitet. Fallen diese unangemessen hoch aus, dürfte das Management primär in die eigene Tasche wirtschaften und nicht für Sie als Aktionär. In anderen Fällen wird der Aktienkurs künstlich aufgebläht, um Kredite dagegen aufzunehmen. Der entsprechende Betrag kann über intransparente Vehikel abgesichert werden. Durch diesen Dschungel können Sie als Analyst oder Journalist nicht durchblicken. So müssen Sie sich auf die Warnsignale verlassen und einen weiten Bogen um das potenzielle Investment machen.
In Asien sind die Kapitalmärkte deutlich deregulierter. Sie können dort u.a. das Hin- und Herschieben von Vermögenswerten zwischen gelisteten- und privaten Gesellschaften beobachten. Beispiel: Sie halten 20% an einem kotierten Konglomerat und erwerben darüber einen Golfplatz. Ob Ihre Verwandtschaft dabei mitmischt oder nicht, soll hier egal sein. Fakt ist, Sie belasten die öffentliche Firma mit wenig produktiven Assets, was die Profitabilität und damit den Aktienkurs drückt. Sie pumpen als grosser Retter nun frisches Kapital hinein und verwässern dadurch alle anderen Aktionäre. Die unproduktiven Filet-Stücke wandern zu Schleuderpreisen in Ihre private Holding. Wenig überraschend gelingt Ihr Turnaround. Sie stehen nun mit einem Golfplatz und 30% des Aktienkapitals da. Der Firma geht es gut, der Kurs zieht an und Sie reduzieren Ihre Beteiligung im Laufe der Jahre wieder auf 20%. Und täglich grüsst das Murmeltier.
Audit Letters
Jahresberichte werden von Wirtschaftsprüfern oftmals durchgewunken. Wichtig ist, dass Sie im sogenannten Audit Letter genau auf die Wortwahl achten und zwischen den Zeilen lesen. Sind diese Punkte nicht einwandfrei, müssen Sie sich auf die Suche nach möglichen Manipulationen begeben. Berichte skurriler und unbekannter Wirtschaftsprüfer stellen ein Warnsignal dar.
Betrug
Ein Wirtschaftsprüfer kann nur prüfen, was ihm vorgelegt wird. Keiner kennt das eigene Unternehmen so gut wie dessen Management. Oftmals werden andere Gesellschaften oder Off-Balance-Sheet Items zweckentfremdet. Dies erschwert das Erkennen offensichtlichen Betrugs. Ein paar Beispiele:
- Einmalige Veräusserungen in wiederkehrenden Umsatz verwandeln: Ein Geschäftsbereich wird abgestossen, der Gewinn allerdings nicht direkt ausbezahlt, sondern in Raten über zehn Jahre beglichen. In der Bilanz wird die Position abgeschrieben (oder auch nicht) und die Ratenzahlungen als Umsatz verbucht. Wachstum, Profitabilität und Cashflows explodieren auf einen Schlag – vorausgesetzt die Nummer wird gut genug versteckt.
- Kundengelder als Umsatz verbuchen: Wirecard begann, Kundenzahlungen der letzten paar Dezembertage als Umsatz zu verbuchen. Diese Praxis muss im Folgejahr zwangsläufig ausgeweitet werden, um einem Umsatzrückgang vorzubeugen. Dass schlussendlich mehrere Milliarden Euro Cash fehlten, dürfte nicht verwundern.
- Dies führt uns direkt zu sogenannten Boomerang-Transaktionen: Ein Unternehmen transferiert einem anderen Geld, Waren oder Dienstleistungen – mit der Abmachung, später alles wieder zurückzukaufen (Repurchase Agreement). Die Transaktionen werden durch die Erfolgsrechnung gezogen und blähen das Wachstum mit jeder Iteration weiter auf. Da diese Praxis im besten Fall ein Nullsummenspiel ist, verschlechtert sich die Profitabilität in den meisten Fällen signifikant.
Fazit
Wir könnten hier endlos viele Punkte auflisten. Egal wie reguliert der Markt ist, der Mensch wird immer Lücken finden.
Wenn wir uns auf drei Schnelltests beschränken müssten, wählen wir die folgenden:
- Tätigen Sie Google-Suchabfragen zu Accounting-Skandalen und Bussgeldern (auch beim Management und Grossaktionären).
- Lesen Sie die Einleitung der Audit-Letters.
- Werden Sie misstrauisch, wenn die adjustierten Gewinne chronisch zu hoch sind (gegenüber den GAAP-Earnings bzw. operativen Cashflows).
Wenden Sie diese drei Punkte konsequent an, dürfte nur in Ausnahmefällen ein Damoklesschwert über Ihrem Portfolio hängen.