Investieren wie die Holländer
Banken- und Finanzkrisen haben in Europa eine bis in die Antike reichende Tradition. Und das nicht nur im südlichen Teil des Kontinents. In den Jahren 1772 und 1773 kam es ausgehend vom britischen Finanzzentrum London zu einer paneuropäischen Konkurswelle im Bankensektor.
Von den Wurzeln zur Gegenwart des Income Investings
Mangelndes Kriegsglück des Empires, ein damit einhergehender Preisverfall am Anleihenmarkt sowie das Platzen einer im Boom nach dem Siebenjährigen Krieg aufgepumpten Kreditblase zwangen zahlreiche britische Kreditinstitute in die Insolvenz.
Tausende Privatkunden des im Aufstieg befindlichen Bürgertums verloren ihre Ersparnisse und Zinseinkünfte. Letztere stellten gerade für Ruheständler, Witwen und Waisen die oftmals einzige Einkommensquelle dar. Herbe Verluste verzeichneten auch viele Kontinentaleuropäer. Entweder, weil sie im Vertrauen auf die Stabilität des damaligen Weltfinanzzentrums ihr Geld auf der Insel angelegt hatten oder aber weil ihre eng mit den englischen Banken verflochtenen Institute mit in den Konkursstrudel gerissen wurden. Letzteres war insbesondere an den Finanzplätzen Edinburgh und Amsterdam der Fall.
Dieses einschneidende Ereignis nahm der niederländische Kaufmann Abraham van Ketwich zum Anlass, eine möglichst krisenfeste und dennoch ausschüttungsstarke Finanzinnovation zu entwickeln, die der bisher fast unumgänglichen Bildung von Klumpenrisiken entgegenwirken sollte. Im Jahr 1774 legte er unter dem Namen „Eendragt Maakt Magt“ (deutsch: „Eintracht macht stark“) den ersten Publikumsfonds auf. Um die beiden Leitgedanken der breiten Streuung und konstanten Dividende glaubwürdig zu verbriefen entwarf van Ketwich einen Emissionsprospekt mit verbindlichen Regeln für das Fondsmanagement und damit sich selbst. Heute eine Selbstverständlichkeit, seinerzeit revolutionär.
Das Reglement schrieb eine weltweite Streuung des Fondsvermögens über mindestens 2.000 Titel sowie eine Fixdividenden in Höhe von vier Prozent auf den Emissionskurs zuzüglich einer Gewinnbeteiligung vor. Investiert wurde in Anleihen, Schuldverschreibungen, Aktien sowie unternehmerische Beteiligungen in Europa («Industrieländer») sowie den Kolonien («Schwellenländer»). Der Emissionspreis betrug 500 Gulden je Anteil, was heute in etwa 10.000 Euro entspricht, der einmalige Ausgabeaufschlag 0,5 Prozent, die jährliche Verwaltungsgebühr bescheidene 0,2 Prozent des verwalteten Vermögens. Fünfzig Jahre später wurde der Fonds planmäßig zu 561 Gulden je Anteil liquidiert. Noch erfolgreicher war der 1776 von der Bank von Utrecht aufgelegte und ebenfalls von Abraham van Ketwich gemanagte Publikumsfonds „Voorderig En Vorsiglig“ (deutsch: „vorteilhaft und vorsichtig“). Er hatte ganze 117 Jahre Bestand und zahlte durchgängig mindestens die Fixdividende in Höhe von sechs Prozent – und das in der inflationsfreien Phase des klassischen Goldstandards.
Tatsächlich waren Barausschüttungen über Jahrhunderte die verlässliche Antwort auf eine ganz zentrale Frage: Wie können Aktionäre sicherstellen, dass das Management ihres Unternehmens weitestgehend in ihrem Interesse handelt? Phantasie kennt bekanntlich kein Limit, Liquidität hingegen schon. Sie lieferte in klingender Münze den Nachweis eines tragfähigen Geschäftsmodells und liefert bis heute den finalen Beweis für die Finanzkraft eines Unternehmens. Als Eigentümerlohn sind Dividenden nach wie vor die einzige nicht manipulierbare und objektiv messbare Finanzkennzahl
Und so existieren vor allem im angelsächsischen Raum, wo traditionell ein großer Teil der Altersvorsorge direkt oder indirekt über die Kapital- beziehungsweise Aktienmärkte gemanagt wird, zahlreiche Wertpapieranlagen, deren Dividendenpolitik exakt auf den Typus des ausschüttungsorientierten Anlegers respektive Einkommensinvestors zugeschnitten ist. Dabei orientieren sich zunehmend mehr Unternehmen und Finanzdienstleister wie beispielsweise Fondsgesellschaften und Vermögensverwalter an den Bedürfnissen der sukzessive in den Ruhestand übergehenden Baby-Boomer und ihrem Wunsch nach einem kalkulierbaren Zusatzeinkommen.
Generisch lassen sich zahlreiche dieser Wertpapiere unter dem Gattungsbegriff „high-yield stocks“ oder Hochdividendenwerte zusammenfassen, die hierzulande nur wenigen ein Begriff sind. Selbst ihr bekannteste Vertreter fristet in Kontinentaleuropa ein Schattendasein. Was genau zeichnet nun Hochdividendenwerte aus? Zum einen handelt es sich durchweg um börsennotierte Wertpapiere. Anleger bewegen sich damit also im transparenten und liquiden Umfeld des weißen Kapitalmarkts. Zum zweiten unterliegen die entsprechenden Instrumente oftmals einer besonderen Gesetzgebung und Aufsicht. Dies hat drittens zur Folge, dass zahlreiche Hochdividendenwerte beziehungsweise Subgattungen von der Besteuerung auf Unternehmensebene befreit sind. Im Gegenzug unterliegen sie bestimmten Auflagen bezüglich ihrer Ausschüttungspolitik. Steuerfreiheit und Auflagen führen in Kombination viertens oft zu überdurchschnittlich hohen Dividendenrenditen. Fünftens erfolgen diese grundsätzlich mehrmals pro Jahr, mindestens halbjährlich, oft jedoch quartalsweise oder gar monatlich. Viele Hochdividendenwerte pflegen zudem sechstens eine „managed distribution policy“, also eine durch das Management erlassene Ausschüttungsrichtlinie, die typischerweise in Höhe und Zeit vorab fixierte Auszahlungen über die nächsten zwölf Monate umfasst. Siebtens und letztens sind die Zielgruppe solcher Gesellschaften oftmals künftige beziehungsweise aktuelle Rentner sowie Pensionskassen und ähnliche Altersvorsorgesysteme.
Zum breiten Spektrum der international vertretenen Gattung der Hochdividendenwerte gehören beispielsweise folgende Instrumente: Business Development Companies (BDCs), Business und Income Trusts, Preferred Shares, Real Estate Investment Trusts (REITs), Royalty Trusts sowie Yield Companies (YieldCos). Die Auflistung ist keinesfalls abschließend!
Fast alle der hier vorgestellten Instrumente können sowohl als Einzelinvestitionen als auch als Sammelanlage, sprich über eine Beteiligungsgesellschaft oder Holding, einen börsennotierten Fonds beziehungsweise Closed-end Fund (CEF) oder Exchange Traded Fund (ETF) erworben werden. Das macht die Streuung und Verwaltung eines zahlreiche Einkommensquellen anzapfenden Weltportfolios für bequem veranlagte Investoren deutlich einfacher. Zwei Kröten müssen Einkommensinvestoren jedoch schlucken. Zum einen ist die Auswahl der Depotbank nicht ganz trivial; bei vielen deutschen Instituten beispielsweise sind nicht alle Instrumente handelbar. Zum zweiten erfordert die Steuererklärung zumeist im ersten Jahr ein wenig mehr Aufwand.